Am vergangenen Wochenende hatte ich mehrfach Glück: Auf einem Streifzug durch das nächtliche Berlin sprang mich vom Fenstersims eines Treppenhauses, auf dem verschiedene Bücher „zum Mitnehmen“ abgelegt und wenig ansprechend dargereicht wurden, ein Bild an, auf das mein fußballkonditioniertes Hirn sofort und automatisch reagierte, sich diesem Bild zuwandte und es eingehend studierte: Es handelte sich um das Cover eines Taschenbuches, auf dem eine ganz in weiß gekleidete Fußballmannschaft (ja: Real Madrid) in typischer „Vor-dem-Spiel“-Manier (sechs stehend hinten, fünf hockend vorne, inklusive Wimpel, wie sich versteht) und erkennbar zu Zeiten Di Stéfanos und Ferenc Puskas‘ (genau: 1957) posiert. Dies auf schwarzem Grund und mit erfreulicher Überschreibung: „Javier Marías: Alle unsere frühen Schlachten. Fußball-Stücke.“
Ich war begeistert! Javier Marías ist mir im Verlauf dieses Jahres näher gebracht worden, es handelt sich um einen der wichtigsten und interessantesten spanischen Autoren unserer Zeit, der zuletzt besonders mit seiner von 2002-07 erschienenen Trilogie „Tu rostro mañana“ (dt. „Dein Gesicht morgen“) für Aufsehen gesorgt hat, dem deutschsprachigen Leser aber wohl vor allem mit „Mein Herz so weiß“ (1996) in Erinnerung geblieben ist, allerdings auch für die spanische (Neu-)Übersetzung von Tristram Shandy verantwortlich zeichnet. Jedenfalls greift Marías aktuelle und gesellschaftsgeschichtliche Themen auf und besticht durch einen immer wieder das Verhältnis von Fiktion und Realität problematisierenden Stil.
Da ich mich früher oder später sowieso mit Marías beschäftigen wollte, nahm ich dies als schicksalhaften Wink mit dem Gartenzaun, packte kurzentschlossen zu und verstaute das Büchlein in meinem Rucksack. Ich hatte also Glück, auf Marías gestoßen zu sein, der (Glück zum Zweiten) spannende und gesamtgesellschaftlich-phänomenologische Artikel über Fußball schreibt, was mir nicht bewusst war. Leider (und das ist das „Schade“) mal wieder ein interessanter spanischsprachiger Autor, den ich auf Deutsch genießen muss, obwohl ich ihn doch gerne in seiner Muttersprache gelesen hätte.
Das halbe Mal Glück ergibt sich aus der schönen Begebenheit, dass schon in einer der ersten Geschichten Marías eine Empfindung mitteilt, die ich selbst so vor kurzem ja auch gemacht habe: Die kindliche Begeisterung für Fußball aus dem Radio. Den kurzen Abschnitt möchte ich schnell wiedergeben:
„Da mein Fernseher keinen Decoder besaß, war ich gezwungen, den letzten Spieltag der spanischen Liga im Radio zu verfolgen, wie man es in der frühen Nachkriegszeit und auch danach noch tat. Vielleicht versetzte mich dieser Umstand mit übertriebener Heftigkeit in die wildesten Jahre meiner Kindheit zurück.“
Marías, Javier, Alle unsere frühen Schlachten, dtv: München 2003², S. 14
Alles zusammen eine schöne Geschichte, die den Blick auf die kleinen Freuden des Alltags richtet und mal wieder darauf hinweist, dass der, der nicht sucht, belohnt wird durch das Finden eines Klein- oder Großods.